Die "Reichskristallnacht" vom 9. November 1938

Der Brief an den Generalstaatsanwalt in Zweibrüken mit Kopie an den Reichsminister der Justiz in Berlin verschweigt die bekannten Tatsachen.

 

Ein Ausschnitt aus dem "Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtpflege", herausgegeben von der Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden in Berlin, zeigt eine Momentaufnahme der Jüdischen Gemeinde in Frankenthal für das Jahr 1933.

 

Seit Ende des 19. Jahrhunderts erschienen diese statistischen Jahrbücher in unregelmäßigen Abständen und sind heutzutage eine unentbehrliche Quelle für die Geschichte der Juden in Deutschland. Sie geben eine genaue Übersicht über die jüdische Gemeindeverwaltung. Die letzte Auflage von 1933 erleichterte den Nazis erheblich die Beschlagnahmung und Ausplünderung der jüdischen Gemeinden.

 

1933 lebten noch zirka 300 Juden in Frankenthal, später jedoch emigrierte ein Großteil der Frankenthaler Juden oder zog in die vermeintlich sicheren Großstädte wie Mannheim oder Frankfurt.

 

Die systematische Ausgrenzung und Unterdrückung der jüdischen Bevölkerung erreichte mit der "Reichskristallnacht" (Reichspogromnacht) eine weitere Steigerung. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gingen in ganz Deutschland die Synagogen in Flammen auf. Durch Schlägertrupps der SA wurden fast 100 Menschen ermordet. Etwa 30 000 Juden wurden anhand vorbereiteter Listen in den verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert, in Frankenthal waren das 23 jüdische Bürger, darunter Karl Schweitzer vom Kaufhaus Schweitzer und Wertheimer, der Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Blum sowie Ernst und Fritz Kaufmann von der Branntweinhandlung Kaufmann. Die meisten von ihnen blieben bis Mitte Dezember 1938 in Dachau inhaftiert.

 

Auch in Frankenthal wurde die Synagoge nicht verschont. In den Morgenstunden des 10. November wurde die Tür der Synagoge aufgebrochen und ein Großteil der Inneneinrichtung zerstört. In dem amtlichen Polizeibericht vom selben Tag heißt es:

 

"Am Vormittag des 10.11.1938, um 6 Uhr 50, wurde von der Konditorei Kuhn in der Bahnhofstraße 20 der Polizei telefonisch gemeldet, dass in der Synagoge ein Brand ausgebrochen ist. Die Polizei hat sofort die Feuerwehr verständigt, die auch bald kam und das Feuer bekämpfte, wodurch ein weiteres Übergreifen auf die angrenzenden Gebäude vermieden wurde."

 

Der Konditor Oskar Kuhn, der den Brand zuerst bemerkte und die Polizei verständigte, wurde vernommen. Er befand sich im Schlafzimmer des Hinterhauses Bahnhofstraße 20 (damals Adolf-Hitler-Straße), das an den zur Synagoge gehörenden Garten Glockengasse 12 (das sogenannte Bethaus) grenzte. Die Entfernung zur Synagoge betrug zirka 15 Meter. Kurz vor 7 Uhr morgens bemerkte er aus Richtung Synagoge einen Feuerschein, öffnete das Fenster und sah, dass ein Brand in der Synagoge ausgebrochen war: "Die Flammen schlugen auf der Ostseite zu den Fenstern heraus."

 

Durch die rechtzeitige Löschung blieb es bei einem relativ geringen Schaden. Der Polizeibericht stellt fest: "Durch das Feuer wurde lediglich die Inneneinrichtung der Synagoge, wie Bänke beziehungsweise Bestuhlung, verschiedene Kronleuchter und Fenster beschädigt. Der Schaden dürfte einige 100 Reichsmark. Personen kamen nicht zu schaden..."

 

Dies war jedoch nur die inoffizielle Version. Nach außen hin schien es den Nazis ratsamer, den Schaden für ihre Zwecke größer darzustellen, als er war. Nach einem Schreiben des "Kreiswirtschaftsberaters", des später eingesetzten "Verwalters für das jüdische Vermögen", vom Dezember 1938 war die Synagoge "innen vollkommen ausgebrannt", das Mobiliar beider Häuser vernichtet und auch das Wohnhaus Glockengasse 10 war "zu Wohnzwecken nicht mehr geeignet".

 

Durch diese Darstellung des Geschehens gab es keine Notwendigkeit mehr, die angeblich "abbruchreife" Synagoge der Jüdischen Gemeinde zurückzugeben, obwohl sie leicht wieder instand zusetzen gewesen wäre.

 

Zum Ausbruch des Feuers konnten angeblich keine Angaben gemacht werden: "Die Entstehungsursache des Brandes konnte bis jetzt nicht festgestellt werden. Die Erhebungen werden fortgesetzt..."

 

In dem Prozeß nach dem Krieg im Juni 1950 über die Zerstörungen in der "Reichskristallnacht" wurden als mutmaßliche Täter der damalige Sturmführer Kummermehr und der Sturmbandführer Schaaf aus Oppau genannt. Beide lebten damals nicht mehr und konnten somit nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Die Mitwirkung anderer Personen, die es sicherlich gab, war nicht mehr feststellbar. Auch die Frage nach den Auftragsgebern wurde nie geklärt.

 

 

Die Plünderung der Synagoge

Ein Brief des Polizeiamtes an die Staatsanwaltschaft beschreibt ausführlich die Vorgänge um die Synagoge am Morgen des 10. November 1938.

 

Bei der Brandstiftung der Frankenthaler Synagoge in der "Reichskristallnacht" brannte das Innere teilweise aus. Größerer Schaden konnte jedoch vermieden werden, da die Feuerwehr - wohl aus Angst vor übergreifenden Bränden - rechtzeitig löschte. In dem amtlichen Polizeibericht wird von "einigen 100 RM Schaden" gesprochen. Es ist wahrscheinlich, dass die Synagogenkuppel im Innern und die farbigen Glasfenster teilweise zerstört wurden. Auch von der Orgel hörte man nie wieder etwas.

 

Dabei blieb es jedoch nicht. Die Gestapo vergriff sich auch an dem liturgischen Eigentum und den Kultgegenständen der jüdischen Gemeinde Frankenthals, an den Thorarollen, den Gebetsbüchern und der Ausstattung der Synagoge sowie an den Gemeindeakten, die im Bethaus gelagert waren.

 

Noch vor 1938 sollen sich im Besitz der Jüdischen Gemeinde 10 Thorarollen befunden haben - das sind die auf Pergament geschriebenen 5 Bücher Moses , dazu 30 Thoramäntel zum "Einkleiden" der Rollen und der dazugehörige Thoraschmuck: eine sogenannte "Ewige Lampe", zwei Trauhimmel für die Hochzeitsfeiern und vier Altarleuchter. Davon war nach der Verwüstung in der "Reichskristallnacht" nichts mehr übrig. Die Ereignisse in dieser Nacht ermöglichten es der Gestapo in ganz Deutschland, wichtige Unterlagen und wertvolle Kunstgegenstände "sicherzustellen".

 

In der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 1938 erging um 1 Uhr 20 ein Blitztelegramm an alle Gestapo-Stellen mit Richtlinien zur "Durchführung" der später so genannten "Judenaktion". Darin hieß es unter anderem in Punkt 3: "Sofort nach Eingang dieses Schreibens ist in allen Synagogen und Geschäftsräumen der jüdischen Kultusgemeinden das vorhandene Archivmaterial zu beschlagnahmen, damit es nicht im Zuge der Demonstrationen zerstört wird. Es kommt dabei auf das historisch wertvolle Material an, nicht auf neuere Steuerlisten usw. Das Archivmaterial ist an die zuständige NS-Dienststelle abzugeben."

 

Dies ist auch in Frankenthal geschehen. Dabei muss wohl ein Teil der Kultgegenstände geraubt und zerstört worden sein. Das Polizeiamt Frankenthal berichtet darüber in einem Brief vom 27. November 1938 an die Stadt: "Das jüdische Schrifttum wurde sichergestellt und beim Polizeiamt-Kriminalpolizei verwahrt. Rohproduktenhändler haben nichts bekommen."

 

Viele staatliche Stellen wie Archive, Bibliotheken und Universitäten in ganz Deutschland waren begierig auf Archivalien und Wertgegenstände wie wertvolle Kunstgegenstände, Bücher oder historische Unterlagen. So wollten die für die Pfalz zuständigen Staatlichen Archive Bayerns im Januar 1939 über Umfang und Inhalt des beschlagnahmten Materials informiert werden. Daraufhin schickte das Polizeiamt Frankenthal am 26. April 1939 nach München eine Auflistung des "sichergestellten" Schrifttums:

 

"Gemäß Funkspruch der Geheimen Staatspolizei-Staatspolizeistelle Neustadt a. d. Weinstraße vom 10.11.1938 wurde in den Geschäftsräumen der jüdischen Kultusgemeinde und in der Synagoge hier das noch vorhandene, d. h. noch nicht zerstörte Archivmaterial sichergestellt und wird, bis weitere Verfügung ergeht, bei der Kriminalpolizei hier verwahrt."

 

In der folgenden Auflistung werden unter anderem Geschäftsbücher der Israelitischen Kultusgemeinde Frankenthals, zurückreichend bis 1835, der beiden Jüdischen Kranken- und Unterstützungsvereine sowie ein Plan des Synagogenbaues Frankenthals erwähnt, Gesangs- und Liederbücher teils in deutscher, teils in hebräischer Schrift, dazu nur noch drei Thora-Rollen.

 

"Das Gesamtmaterial umfasst rund 80 große Bände, 20 kleinere Bücher, etwa 10 Pakete mit losen Schriften, die nicht gesichtet sind und lose Schriften aller Art. Ob bei den beschlagnahmten Sachen wertvolles oder historisches Material ist, kann nur durch Fachleute festgestellt werden. Bei einem evtl. Versand des gesamten Materials wären mindestens 3 größere Kisten notwendig."

 

Es waren also zahlreiche und für die Geschichte der jüdischen Gemeinde Frankenthals wertvolle Unterlagen, die der Gestapo da in Frankenthal in die Hände fielen und die wir heute schmerzlich vermissen.

 

Auch die Frankenthaler Gemeinde versuchte noch einmal, ihre Unterlagen zurückzubekommen. So schrieb sie am 21. April 1939, ein gutes halbes Jahr nach der "Reichskristallnacht", an die Ortspolizei Frankenthal, "die uns in ihrem Besitz befindlichen Gebetbücher und Thorarollen (2 Stück), die für den Samstags- und Feiertags-Gottesdienst von unseren Gemeinde-Mitgliedern gebraucht werden, wieder zu überlassen."

 

Dem wurde leider nicht entsprochen, da man wegen Kompetenzstreitigkeiten sich nicht mit der Gestapo einlassen wollte.

 

Hier brechen die Quellen ab. Ob die Archivalien an das Staatsarchiv Speyer beziehungsweise München geschickt wurden oder in Frankenthal beim Bombenangriff 1943 im Rathaus zerstört wurden ist nicht festzustellen. Die Schriften sind jedenfalls nie wieder aufgetaucht und auch der Verbleib der Kultgegenstände ist ungewiss.