Die Enteignung der Synagoge

Bald nach der "Reichskristallnacht" versuchte die Stadtverwaltung Frankenthal, die Synagoge und das anliegende Wohnhaus in ihre Hände zu bekommen. Entgegen der Tatsache, dass die Synagoge im Innern nur teilweise beschädigt war und leicht wieder für die Jüdische Gemeinde hätte hergerichtet werden können, wurde behauptet, dass die beiden Gebäude baufällig seien und aus Sicherheitsgründen abgerissen werden müssten, da sie nicht mehr bewohnbar seien.


Schon am 29. November 1938, also drei Wochen nach der "Reichskristallnacht", schrieb der Frankenthaler Oberbürgermeister Hans Scholl an das Stadtbauamt: "Ich beabsichtige die im Eigentum der IKG (= Israelitische Kultusgemeinde Frankenthal) stehende Synagoge, ebenfalls das nebenanliegende Gebäude (so genannte Bethaus) und das Wohnhäuschen Glockengasse 10 zum Zwecke der dort geplanten Sanierung für die Stadt Frankenthal zu erwerben."

 

Es war geplant, eine öffentliche Grünanlage anzulegen. Jedoch hatte man es mit einem Abriss nicht eilig. Denn zuerst wollte man die beiden Gebäude selbst nutzen. Dazu wurden die Schäden aus der "Reichskristallnacht" beseitigt und der Jüdischen Gemeinde in Rechnung gestellt. Dies ergibt sich aus den Akten, die im Stadtarchiv liegen. Am 12. Dezember 1938 wurde deshalb der durch die Verwüstung entstandene Schutt aus der Synagoge abgefahren und am nächsten Tag wurden Aufräumungsarbeiten getätigt.

 

Es ergab sich für das Aufräumen und Abfahren von Material aus der Synagoge für jeweils vier Stunden mit einem Mann 23,80 Reichsmark. Dies bezahlte der "Treuhänder" des Jüdischen Vermögens aus den Einnahmen der Vermietung der Synagoge.

 

So begann die Verwertung des Vermögens der Israelitischen Kultusgemeinde mit der Vermietung der renovierten Synagoge und des Bethauses. Mindestens bis 1941, wahrscheinlich aber noch länger bis zur Einstellung des Autobahnbaus 1942, wurden Synagoge und Bethaus an die für den Bau der Reichsautobahn zwischen Mannheim und Kaiserslautern zuständige Stelle vermietet.

 

Es war praktisch, dass man sogleich einen neuen Mieter fand. Die Reichsautobahn stellte am 7. Februar 1939 einen Antrag an die Stadt, die im Nebengebäude der Synagoge befindlichen zwei Räume für Bürozwecke zu nutzen und in der Synagoge Zement einlagern zu können.

 

Dies wurde möglich durch die praktische Enteignung der Jüdischen Gemeinde am 22. November 1938. An diesem Tag wurde der "Kreiswirtschaftsberater der NSDAP" - in Frankenthal OB Scholl - notariell zum "Treuhänder" für das Vermögen der Israelitische Kultusgemeinde Frankenthal eingesetzt. Der letzte Gemeindevorsteher Moses Blumenstiel musste dem, gezwungenermaßen, zustimmen. Dies bedeutete zugleich Vollmacht für Verwaltung und Verwertung des gesamten Vermögens, gerade auch des Immobilienbesitzes der Kultusgemeinde. Denn da die jüdische Gemeinde sich nach Ansicht des OB "aufgrund der Ereignisse" (= "Reichskristallnacht"), "außerstande sah, ihre Vermögensgeschäfte "selbst zu besorgen", musste ihr geholfen werden" (in einem Brief vom 20. Juni 1942).

 

So befand sich jetzt ab Februar 1939 das Baubüro der Reichsautobahn im Rückgebäude des Anwesens Glockengasse 10. Dafür wurden monatlich 50 Reichsmark an Miete gezahlt. Die Synagoge selbst wurde auf Kosten der Reichsautobahn zur Einlagerung von Zement "hergerichtet", dafür wurden 40 Reichsmark an die Stadt gezahlt. Das Geld ging für die Jüdische Gemeinde an den "Treuhänder" auf ein Sperrkonto, ab Februar 1941 direkt an die Stadt Frankenthal.

 

Doch es kam noch besser. Das Vordergebäude Glockengasse 10 wurde ebenfalls wieder in einen wohnlichen Zustand versetzt, und das vorhandene Zimmer mit Küche wurde als Büroräume dem "HJ-Sturmführer" Zwerger zur Verfügung gestellt. Für die Herrichtung und Unterhaltung hatte die Hitlerjugend (HJ) selbst aufzukommen und musste hierfür als Gegenleistung keine Miete zahlen.

 

Damit alles seine deutsche Ordnung hatte, wurden offiziell beide Häuser am 25. Januar 1940 notariell in das Eigentum der Stadt Frankenthal übertragen, die Notariatsakte ist im Stadtarchiv erhalten.

 

Die Jüdische Gemeinde wurde dabei von OB Hans Scholl durch die oben genannte Vollmacht vertreten, die Stadt verkaufte die Synagoge also praktisch an sich selbst. Die Jüdische Gemeinde erhielt keine Entschädigung für die zwei Gebäude, dafür verpflichtete sich die Stadt großzügigerweise, auf ihre Kosten den Abriss zu übernehmen. Da die Kosten des Abbruchs nach einem Gutachten des Stadtbauamtes rund 16000 Reichsmark betragen sollten, der Wert des Materials (Steine, Eisen, Holz) aber nur mit 4000 Reichsmark angenommen wurde, blieb nach Verrechnung der beiden Werte nichts mehr für die Gemeinde übrig. Allerdings wurde in einer weiteren Notiz angemerkt, dass der Abbruch auch bis nach Kriegsende zurückgestellt werden könnte. Ein weiteres Indiz dafür, dass es den Nazis alleine um das wertvolle innerstädtische Grundstück ging.

 

Jedoch ist nicht die Stadt Frankenthal allein anzuklagen. Es wurde so in ganz Deutschland mit den Synagogen verfahren. Es gab eine inoffizielle Richtlinie von staatlicher Seite, wie die Städte mit den jüdischen "Ruinen" umgehen sollten. Denn ein "Wiederaufbau käme nicht in Frage."

 

In einem Brief vom 24. März 1939 vom Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten in Berlin an die Landesregierungen wurde die offizielle Strategie festgelegt: "Von einer Enteignung der Gebäude und Grundstücke wird im allgemeinen abzusehen sein, um nicht den Augenschein zu bestärken, als gehöre es zu den Zielen der Rassenpolitik des 3. Reiches, den Juden ihre religiöse Betätigung unmöglich zu machen."

 

So sollte man die Ausrede benutzen, dass die Gebäude baufällig seien und "unter dem Gesichtspunkt der Baupolizei der Abbau der Trümmer veranlasst wird." Wenn dann jedoch die jüdischen Gemeinden immer noch nicht nachgeben würden, so sollte man sie doch schlicht enteignen und zwangsweise verkaufen.

 

Daran hielt sich auch die Stadt Frankenthal. Die Stadt hatte keinerlei moralischen Bedenken, aus einer Synagoge ein Zementlager zu machen. Aber nach der Deportation der letzten Frankenthaler Juden am 22. Oktober 1940 nach Gurs hatte sich das Problem von selbst erledigt. Es gab keine Juden mehr, die eine Synagoge brauchten.