Familie Samuel

  

In dem kleinen pfälzischen Dorf Kerzenheim, zwischen Eisenberg und Göllheim gelegen, kam Siegfried Samuel am 17. Juli 1885 zur Welt. Seine Eltern waren Samuel Samuel und Clara Baertig. Der Vater war von Beruf Getreidehändler und ein gläubiger Jude. In seinem Haus hatte er einen Betraum für die kleine jüdische Gemeinde eingerichtet.

 

Siegfried Samuel in jungen Jahren

Nach dem Besuch der Elementarschule ging Sohn Siegfried auf das Gymnasium in Grünstadt.

 

Nach dem Abitur studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Medizin. Da ihm dies nicht lag, begann er das Studium der Rechtswissenschaften an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg.

 

Im Jahre 1914 promovierte er zum Dr. jur et rer. pol. Als Referendar nahm er die Tätigkeit bei einem Frankenthaler Rechtsanwalt auf und wählte diese Stadt – mit einem Amts- und Landgericht – als Wohnort.

Anzeige in der Frankenthaler Zeitung, vom 3. Mai 1920

Den 1. Weltkrieg machte er von Beginn bis zum Ende mit, weshalb er die Staatsprüfung nicht ablegen konnte. Bereits 1906/07 hatte er seinen Militärdienst abgeleistet. Siegfried Samuel nahm an zahlreichen Gefechten im Westen und im Osten teil und erhielt das Eiserne Kreuz 1. Klasse wegen Tapferkeit unter Feuer. Im Jahre 1919 legte er die Staatsprüfung ab und wurde als Rechtsanwalt zugelassen. In der Frankenthaler Zeitung vom 3. Mai 1920 zeigt er an, dass sich sein Rechtsanwaltsbüro in der Eisenbahnstraße 2 in Frankenthal befindet.

Dr. Siegfried Samuel und seine Ehefrau Hulda

Bei der Heirat von Jakob Samuel lernte Hulda Besser, die als Freundin der Braut zur Hochzeit eingeladen war, Siegfried Samuel kennen. Sie stammte aus Zürich in der Schweiz. Anfang des Jahres 1921 verlobten sie sich. Am 9. Mai 1921 wurde in Zürich die Hochzeit gefeiert.

Die Lambsheimerstraße, links der Fuchsbach. Am Ende der Bebauung begann vermutlich der Fuchsbachweg. Hier wohnte auf der linken Seite die Familie Samuel.

 

Das Ehepaar zog in den Fuchsbachweg 4 (heute: Lambsheimer Straße 79), wo der Ehemann bereits wohnte. Am 12. November 1922 kam in Frankenthal die Tochter Doris Thea zur Welt, Tochter Edith Marguerite wurde am 3. September 1925 in Mannheim geboren.

 

„Damit begann für die Kinder zunächst eine glückliche Kindheit", erinnert sich Edith Stern, geborene Samuel. „Der Zugang zum Haus ging über eine kleine Brücke über den Fuchsbach. Das Haus hatte einen breiten Garten mit einer Wiese, einer Schaukel, einen Zwetschgenbaum und einen angepflanzten Obstgarten hinter dem Haus.“ Die beiden Schwestern besuchten in Frankenthal die Neumayerschule, bevor sie auf die Karolinenschule wechselten.

 

Hulda Samuel mit den beiden Töchtern Doris Thea und Edith Marguerite

Dr. Siegfried Samuel, ein Anhänger der Deutsche Demokratische Partei (DDP), war ein gefragter Rechtsanwalt. Er sah sich als Deutscher jüdischen Glaubens mit einer tiefen Liebe für sein Vaterland.

 

Den Gottesdienst in der Synagoge besuchte er an hohen jüdischen Feiertagen, oft nur auf Drängen der Ehefrau. Peinlich war es für ihn, mit dem Zylinder auf dem Kopf auf dem Weg zur Synagoge gesehen zu werden. Deshalb musste das Dienstmädchen Gretel diesen zur Synagoge bringen.

 

Nachmittags gingen die Kinder zwei- oder dreimal in der Woche in den Religionsunterricht der jüdischen Gemeinde zu Kantor und Lehrer Heinrich Schottland. Dieser kannte seine Schüler sehr gut und teilte diese nach Jahrgang oder Wissen ein. Nach 1933 wurde die Anzahl der Schüler immer geringer, da viele jüdische Familien die Stadt verlassen hatten.

Siegfried Samuel mit den beiden Töchtern

  

Doris Samuel mit ihrer Schulklasse Neumayerschule – Jahr 1929 – 2. Reihe, Dritte von rechts
Hulda und Siegfried Samuel im Garten ihres Hauses

Auch Rechtsanwalt Samuel wollte nicht wahrhaben, was die Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 für die Juden bedeutet. Er sah in den Deutschen ein kultiviertes Volk, das dem Unsinn, was im Buch „Mein Kampf“ stand, nicht folgen werde. Er selbst habe seine Liebe zum Vaterland oft genug im 1. Weltkrieg bewiesen.

 

Nach 1933 ging die Anzahl seiner Klienten stetig zurück. Er musste 1936 sein Rechtsanwaltsbüro in seine Wohnung verlegen. In der Frankenthaler Zeitung vom 24. Juni 1936 erschien die Anzeige, dass „die Geschäftsräume von Herrn Dr. Samuel ab 1. Juli 1936 neu vermietet werden.“

 

Die Eltern bemühten sich, vor ihren Kindern zu verbergen, dass ihr Leben schwieriger wurde. Die Mädchen bemerkten, dass in den Geschäften der Stadt Frankenthal immer häufiger zu lesen war: „Hier sind Juden unerwünscht!“ Sie mussten mithelfen, wo sie nur konnten, da die Mutter keine Haushaltshilfe mehr hatte. Nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze durfte - wegen ihres Alters - das Kindermädchen Gretel aus Flomersheim nicht mehr kommen. Dafür kam Änne Schickedanz, die das 45. Lebensjahr überschritten hatte.

Familie Samuel im Garten ihres Hauses

Die meisten Freunde der Samuels kamen über Ehefrau Hulda, einer eifrigen Bridgespielerin. Sie hatte zwei oder drei verschiedene Bridgespiel-Gruppen. Siegfried Samuel hatte an diesem Kartenspiel kein Interesse. Auch dieser Freundeskreis wurde ständig kleiner und hörte dann fast auf.

 

Als man es „arischen Schülern nicht mehr zumuten konnte, mit jüdischen Schülern unterrichtet zu werden“, musste 1937 die Tochter Doris Thea die Karolinenschule verlassen. Sie ging nun zum Unterricht in die jüdische Schule in Worms, während ihre Schwester Edith am 10. November 1938, dem Morgen nach der Pogromnacht, von Direktor Kleiber aufgefordert wurde, die Schule zu verlassen.

 

Bereits Monate vorher wurde sie und ihre andere jüdische Mitschülerin Lotte Adler mehr und mehr isoliert. Die Nazi-Hetze gegen die Juden verfehlte ihre Wirkung auf ihre „arischen“ Mitschülerinnen nicht, die nun den Kontakt mit ihnen als „gefährlich oder unpassend“ ansahen.

Bereits 1936 musste sich Dr. Siegfried Samuel von seiner Sekretärin Johanna Magin trennen und stellt ihr ein Arbeitszeugnis aus.

Als Edith und ihre Schwester Doris am 10. November 1938 nach Hause gekommen waren, sagte ihnen ihre Mutter, dass ihr Vater verhaftet und ins Gefängnis gebracht worden sei. Ein paar Minuten später fuhr ein offener Lastwagen mit jungen Leuten vor. Diese drangen ins Haus ein und befahlen, dass sie das Haus zu verlassen haben. Die Mutter floh mit ihren Kindern in den gegenüber liegenden Straßengraben. Sie nahmen von dort großen Lärm wahr, aber auch, dass die Fensterscheiben eingeschlagen wurden. Als der Lastwagen weggefahren war, kehrten sie ins Haus zurück. Alles war zerschlagen und lag in Trümmern. Die Mutter ging in die Stadt, um Kontakt mit dem Vater aufzunehmen. Als sie zurückkam, teilte sie ihren Kindern mit, dass sie Frankenthal verlassen müssen.

 

Kurzzeitig fand Hulda Samuel mit ihren Töchtern Unterschlupf bei der Schweizer Familie Schaeppi, die ein Kolonialwarengeschäft in der Stadt betrieb. Als es Abend geworden war, ging Frau Samuel mit ihrer Tochter Doris nochmals zu ihrem Haus im Fuchsbachweg 4, um die notwendigen Papiere zu holen. Sie fanden noch größere Zerstörung im Haus vor, als sie es vormittags verlassen hatten. In der Nacht auf den 11. November fuhren die Mutter und die beiden Töchter mit dem Zug nach Ludwigshafen, wo sie über Nacht bei einer jüdischen Familie bleiben konnten. Am Morgen gingen sie nach Mannheim, wo Hulda eine Bleibe gefunden hatte. Um den 20. November kam Huldas Neffe Max Berg aus der Schweiz, um seine beiden Cousinen in die Schweiz zu bringen. Hulda Samuel und ihre beiden Töchter gingen mit Max Berg ins Frankenthaler Rathaus, um die Pässe abzuholen.

Kennkarte von Hulda Samuel mit dem eingestempelten roten J für Jüdin und dem durch die NS-Behörden eingeführten Vorname Sara (bei Männern Israel)

Am 22. November 1938 verließen Doris Thea und Edith Samuel mit ihrem Cousin Max Berg Deutschland und gingen in die Schweiz nach Zürich, der Heimatstadt ihrer Mutter.

 

Siegfried Samuel wurde am 5. Dezember 1938 aus dem Konzentrationslager (KZ) Dachau entlassen.

 

 

 

Am 11. April 1939 emigrierten die Eheleute Samuel von Frankenthal nach Zürich. Siegfried erholte sich nie mehr von den Folgen seines Aufenthaltes im KZ Dachau. Er starb am 23. November 1941 in Zürich, seine Frau Hulda dort am 25. Januar 1983.

Das Anwesen Fuchsbachweg 4 erwarb die Schnellpressenfabrik Albert & Cie. AG Frankenthal. In den 50er und 60er Jahren wohnte hier der Direktor der Firma, Karl Rheinganz.

 

Doris Thea und Edith Samuel besuchten nach dem 2. Weltkrieg mehrmals die Stadt Frankenthal. Die Ältere von beiden, Doris Pugatsch-Samuel, wohnte zusammen mit ihrer Familie bis 2015 in Zürich, wo sie im Alter von 92 Jahren starb. Die jüngere Edith Stern-Samuel ging 1951 in die USA, sie lebt heute bei ihrer Tochter in Denver/Colorado. (Mitteilung von Dr. Sigmund Pugatsch, Sohn von Doris Pugatsch-Samuel)

 

 

Für die Familie Samuel verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig auf dem Gehweg vor dem Haus Lambsheimer Straße 79 vier Stolpersteine.

 

Das Karolinen-Gymnasium erinnert mit zwei Stolpersteinen auf dem Gehweg vor der ehemaligen Karolinenschule (Ecke Karolinenstraße/Johannes-Mehring-Straße) an die beiden ehemaligen Schülerinnen.