Jüdische Frauen und Männer waren im Stadtleben aktiv

1842 kauften die Brüder Marx und Moses Kaufmann das Anwesen Karolinenstraße 12, um ihren Wohnsitz sowie ihre Branntwein-, Likör- und Essighandlung von Neuleiningen nach Frankenthal zu verlegen. Am 1. April 1842 fand die Geschäftseröffnung statt.

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten in Frankenthal 371 Juden unter 16.899 Einwohnern. Dies waren rund zwei Prozent.

 

Viele von ihnen waren angesehene Bürger: Rechtsanwälte, Ärzte, Richter, Lehrer, Bankiers, Geschäftsinhaber, die in das wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Leben der Stadt voll integriert waren, es in vielen Bereichen maßgeblich prägten und sich in zahlreichen Vereinen und Organisationen engagierten.

 

So gehörten beispielsweise der Weinhändler Marx Kaufmann, der "königl. Advokat- und Rechtsanwalt" Josef Thalmann, der Schuhwarenhändler Jakob Weil und der Rechtsanwalt Dr. Moritz Mayer lange Jahre dem Frankenthaler Stadtrat an, Aron Loeb war Vorsitzender des Kriegervereins, Emil Loeb Vorsitzender und später sogar Ehrenvorsitzender des Rudervereins, Dr. Richard Mann stand an der Spitze des örtlichen Anwaltsvereins, Philipp Adler war Vorsitzender des Kaufmännischen Vereins und Dr. Ludwig Nachmann Vorsitzender des Fußballvereins 1900/02.

 

Bernhard Lurch war lange Jahre Schriftführer der Schützengesellschaft und der Weingroßgroßhändler Emil Kaufmann gehörte zu den Mitbegründern des Frankenthaler Altertumsvereins, in dem zahlreiche weitere Frankenthaler Juden Mitglieder waren, unter anderem Issak Singer, Dr. Ernst Rahlson und Dr. Nathan Nathan. Karoline Rosenberg, die Frau von Justizrat Dr. Emil Rosenberg, war Vorsitzende des Vereins für Fraueninteressen in der Stadt.



Jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg

Carl Schweitzer als Soldat im Ersten Weltkrieg.

Die meisten der Frankenthaler Juden waren ausgesprochen deutschnational gesinnt. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, meldeten sich viele freiwillig zu den Waffen, um für ihr Vaterland zu kämpfen. Drei von ihnen starben:

 

Leopold Gutmann

Richard Lurch

Max Schweitzer

 

Die Teilnahme vieler jüdischer Soldaten am Ersten Weltkrieg wird häufig als Beleg für die Integration der Juden in die Gesellschaft angeführt. Rund 12 000 deutsche Soldaten jüdischen Glaubens sind gestorben. Mit der Weimarer Verfassung von 1919 erhielten die Juden die völlige Gleichberechtigung.



Das Kriegerdenkmal auf dem Jahnplatz erinnert an die 653 getöteten Frankenthaler Soldaten des Ersten Weltkrieges.

1936 weihten die Nationalsozialisten auf dem Jahnplatz ein Kriegerdenkmal zur Erinnerung an die 653 gestorbenen Frankenthaler Soldaten des Ersten Weltkrieges ein und veröffentlichten die Namen in einem Gedenkbuch. In einem Schulprojekt 1999 entdeckte eine Klasse des Karolinen-Gymnasiums, dass die drei gestorbenen jüdischen Soldaten nicht mitgezählt und nicht erwähnt wurden. Eine Tafel erinnert seitdem an Leopold Gutmann, Richard Lurch und Max Schweitzer.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alltag der Juden bis 1933

In der Bahnhofstraße gab es mehrere jüdische Geschäfte. Sie waren wegen ihrer offenen Verkaufsstrategie bei vielen Kunden beliebt.

Für das Jahr 1910 werden 615 000 Juden in Deutschland genannt. Das waren 0,95 Prozent der Bevölkerung. Bis 1933 sank die Zahl auf 499 700. Viele waren bereits ausgewandert, die Kinderzahlen waren erheblich gesunken, zahlreiche reformierte und emanzipierte Juden waren aus den jüdischen Gemeinden ausgetreten oder lebten in Mischehen.

 



Kantor und Lehrer der Jüdischen Gemeinde war Heinrich Schottland. Er wohnte mit seiner Familie in der Gartenstraße 11 (rechts das Haus mit rotem Dach). Links sieht man die heutige Schillerschule.

Ein Ausschnitt aus dem "Führer durch die jüdische Gemeinde- verwaltung und Wohlfahrtpflege", herausgegeben von der Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden in Berlin, zeigt eine Momentaufnahme der Jüdischen Gemeinde in Frankenthal für das Jahr 1933. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurden diese statistischen Jahrbücher in unregelmäßigen Abständen veröffentlicht. Sie sind heute eine unentbehrliche Quelle für die Geschichte der Juden in Deutschland. Sie geben eine detaillierte Übersicht über die jüdische Gemeindeverwaltung:

 

Frankenthal: 24 647 Einwohner. Israelitische Kultusgemeinde: 300 Juden. Der Vorstand hatte fünf Mitglieder. 1. Vorsitzender war Philipp Adler, Färbergasse, 2. Vorsitzender Moses Mayer, Wormser Straße, 3. Vorsitzender Moses Blumenstiel, Marktplatz. Kantor und Lehrer war Heinrich Schottland, Gartenstraße 11. Es gab noch einen weiteren Lehrer.

 

Die Glockengasse wird als Standort einer Synagoge und eines Betsaals genannt.

 

Im Bereich der Wohlfahrtspflege waren aktiv: der Israelitische Armenverein, der Israelitische Krankenunterstützungsverein der Frauen, gegründet 1868, mit der Vorsitzenden Meta Nachmann, Bahnhofstraße, sowie der Israelitische Krankenunterstützungsverein der Männer, Vorsitzender Moritz Nachmann, Bahnhofstraße 1.

 

Im Religionsunterricht waren 18 Kinder. Der Frankenthaler Kultusgemeinde angeschlossen waren Hessheim mit vier Juden, Oppau mit zwei Juden, Schauernheim und Oggersheim.

 

Das Handbuch enthielt weitere Informationen zu den verschiedenen Steuern, die die Kultusgemeinde zu zahlen hatte. Der Gemeindeetat betrug 1931 20 836 Reichsmark.

 

Diese letzte Auflage des "Führers durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtpflege" von 1933 erleichterte den Nazis später erheblich die Beschlagnahmung und Ausplünderung der jüdischen Gemeinden.

 



Von der Ausgrenzung bis zum Völkermord

Frankenthal präsentierte sich wie viele andere Städte und Gemeinden mit einer Postkarte als NS-Kommune.

 

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Unmittelbar danach begann die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung aus dem beruflichen und später auch öffentlichen Leben. Bereit im März meldete die Frankenthaler Zeitung erste Aufrufe zum Boykott jüdischer Geschäfte. Ein erstes Gesetz der Reichsregierung vom 7. April 1933, das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", erlaubte die legale Entlassung der Juden aus kommunalen und anderen staatlichen Dienststellen.

Bereits im August 1933 wurden den Juden der Zutritt in das neue Strandbad verboten. Erich Moos (rechts) war ein bekanntes NS-Parteimitglied. Am 26. August hieß es in der Frankenthaler Zeitung: "Nichtariern ist der Zutritt zum Strandbad verboten".

Nach der Machtüber- nahme der National-sozialisten im Frühjahr 1933 begann auch in Frankenthal die systematische Ausgrenzung und Isolierung der Juden, die von der NS-Propagan- da seit Jahren als Verursacher allen Übels gebrandmarkt worden waren.

 

Am 1. April 1933 standen erstmals SA-Posten vor den Geschäften der Frankenthaler Juden und verwehrten Kunden den Eintritt. Einige Wochen später, nach der Erlassung des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", wurden der jüdische Augenarzt Dr. Ernst Rahlson und der jüdische Jurist Dr. Emil Rosenberg zwangspensioniert. Als im August 1933 das neue Frankenthaler Strandbad eröffnet wurde, hing am Eingang ein Schild mit der Aufschrift: "Juden haben keinen Zutritt".

 

Zahlreiche Gesetze schränkten in den folgenden Jahren das Leben der Juden immer mehr ein. Jüdische Studenten wurden nicht mehr zum Examen zugelassen. Juden wurden vom Wehrdienst ausgeschlossen, sie durften nicht mehr Leiter oder Pächter einer Apotheke sein, die Doktorwürde nicht mehr erlangen und wurden nicht mehr als Kassenärzte oder Rechtsanwälte zugelassen. Das "Reichsbürgergesetz" nahm ihnen alle staatsbürgerlichen Rechte. Das "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" verbot Eheschließungen zwischen Juden und so genannten "Deutschblütigen" und stellte sexuelle Beziehungen zwischen ihnen unter Strafe.



Die "Arisierung" jüdischer Geschäfte in Frankenthal.

Durch die "Arisierung" verschwanden nach und nach alle jüdischen Geschäfte. Statt "Grünbaum" kam "Laudenklos" (rechts). Das Kaufhaus Nachmann in der Bahnhofstraße hieß jetzt Hain am Markt.

 

Eines der wichtigsten Ziele des NS-Regimes war die Ausschaltung des jüdischen Einflusses auf das deutsche Wirtschaftsleben. Mitte der dreißiger Jahre wurde der Druck auf die Juden auch in Frankenthal systematisch verstärkt. Die SA marschierte regelmäßig über den Wochenmarkt und skandierte "Die Juden sind unser Unglück". Propagandafahrten durch die Stadt waren an der Tagesordnung und seit August 1935 hingen in fast allen Frankenthaler Geschäften Schilder mit der Aufschrift: "Hier werden keine Juden bedient".



Ein "Gruß aus Frankenthal (Pfalz)" wurde für viele Frankenthaler Juden immer seltener. Vor allem die jungen Menschen entschieden sich zur Flucht (Auswanderung). Die Synagoge (das große Gebäude halb-links) war weiterhin Mittelpunkt der Gemeinde.

 

Die so genannten Nürnberger Rasse-Gesetze aus dem Jahr 1935 legitimierten viele Verfolgungsmaßnahmen und weiteten sie aus. Jüdische Bürgerinnen und Bürger, die es sich finanziell leisten konnten und/oder bereits Verwandte und Bekannten im Ausland hatte, emigrierten in den folgenden Jahren. Im damaligen Reichsgebiet (Grenzen bis 1938) lebten bezogen auf die Volkszählung von 1925  rund  560 000 Juden (0,9 Prozent der Gesamtbevölkerung, davon 19,1 Prozent so genannte Ostjuden), rund 300 000 Juden konnten rechtzeitig flüchten.  In einer Broschüre über das Konzentrationslager Dachau wird die Zahl der geflüchteten Juden mit 247 000 angegeben. In dem Buch "Juden in Ludwigshafen" heißt es: "Viele, die nicht fliehen konnten oder wollten zogen in die vermeintlich sicheren Großstädte wie Mannheim oder Frankfurt."

 



Am 19. April 1937 verpachtet Julius Abraham sein Möbelhaus in der Wormster Straße 27 an die Geschwister Schüßler & Völker. Die Schrift "Möbelhaus Abraham" wurde entfernt.

Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausgrenzung ging weiter. Die "Verord- nung gegen die Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe" vom 22. April 1938 sollte zum Beispiel bewirken, dass die jüdischen Geschäfte und Betriebe gekenn- zeichnet wurden und so schon äußerlich identifizierbar waren. Die "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" vom 26. April 1938 forderte, dass alle Juden ihr Vermögen über 5000 Reichsmark bis zum 30. Juni 1938 anzugeben hatten.

 

Die Familie Julius und Else Abraham

Im Stadtarchiv Frankenthal befinden sich alle Unterlagen über die Enteignung der Familie Abraham. Am 19. April 1937 verkaufte Julius Abraham sein Geschäft mit allem Zubehör an die Geschwister Schüßler & Völker.

Das Leben von Julius und Else Abraham stehen beispielhaft für die erfolgreiche geschäftliche Entwicklung einer jüdischen Familie in Frankenthal. Ihr gehörte ein großes Anwesen in der Wormser Straße 27 mit einem Möbelhaus und einer Wohnung. Außerdem besaß sie ein Schuhhaus in der Wormser Straße 30.

 

Da Julius Abraham ab 1937 sämtliche finanziellen und wirtschaflichen Entwicklungen über die Stadtverwaltung Frankenthal abwickelte und alle Unterlagen erhalten blieben, kann man die Enteignung der Familie differenziert nachweisen.