Zweifelhafte Vorbilder - eine aktuelle Diskussion

 

 

Die Statue im Adolf-Metzner-Park erinnert weiterhin an Adolf Metzner.

Zweifelhafte Vorbilder

 

von Annette Weber

 

Wird der Name eines Mannes oder einer Frau ausgewählt, um eine Schule zu benennen, dann sollte diese Person ein Vorbild für die Kinder sein. Sollte. Ist es aber offenbar nicht immer. Auch mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges tragen Schulen in Deutschland Namen von Männern, deren Verstrickung in den Nationalsozialismus einer solchen Vorbildfunktion entgegensteht.

 

Es sind nicht die "großen", die bekannten Nazis, deren Namen die Schulen tragen. Es sind eher die der "Mitläufer", die Sympathisanten der menschenverachtenden NS-Ideologie, die sich zwar selbst nie die Finger schmutzig gemacht haben, aber als Vorbild für Kinder und Jugendliche ganz bestimmt nicht taugen.

 

Ein Beispiel ist der 1895 in Wien geborene Mediziner Rainer Fetscher. In Dresden arbeitete er in den 1920er und 1930er Jahren an der Universität. Neben einer Straße, einem Platz und einem Altenheim ist in der sächsischen Landeshauptstadt auch eine Schule für Körperbehinderte nach ihm benannt.

 

Eine durchaus problematische Wahl: Denn Fetscher hatte bereits 1923 mit Billigung des Sächsischen Justizministeriums angefangen, Daten von Straftätern samt Familien für eine "Erbbiologische Kartei", eine umfangreiche Kartothek über dissoziale Familien Sachsens' zu sammeln. Er glaubte an die Vererbung von Kriminalität. 1933 gab er offen zu, für die Sterilisation von 65 Menschen gesorgt zu haben - lange bevor sich die Nazis dieses grausamen Instruments bedienten. Er stellte seine "Erbbiologische Kartei" den NS-"Erbgesundheitsgerichten" zur Verfügung, die darüber entschieden, wer als "erbkrank" galt und zwangssterilisiert wurde.

 

Als die Flecken in Fetschers Vergangenheit bekannt wurden, nahm man im sächsischen Pirna davon Abstand, die aus zwei Gymnasien fusionierte Schule nach dem Arzt zu benennen und einigte sich auf Friedrich Schiller als Namenspatron. In Dresden dagegen wartet man seit zwei Jahren auf ein Gutachten der Technischen Universität. Die soll bis Ende dieses Jahres feststellen, wie weit Fetscher in nationalsozialistische Machenschaften verstrickt war. Danach würden Stadtrat und Schule entscheiden, ob der Name geändert werden soll, ist auf der Internetseite der Schule zu lesen.

 

Fetscher, der von seinem Sohn, dem bekannten Historiker Iring Fetscher, vehement verteidigt wird, war sicher kein überzeugter Nazi, noch weniger ein Täter. Aber auch wenn er sich juristisch nicht schuldig gemacht hat, eignet er sich - wie viele andere Namenspatrone auch - ganz sicher nicht als Identifikationsfigur einer Schule.

 

Den Stein ins Rollen gebracht hat der Chemnitzer Historiker Geralf Gemser, der seit Jahren die Namensgebung von Schulen unter die Lupe nimmt. Anfang 2009 erschien sein Buch "Unser Namensgeber. Widerstand, Verfolgung und Konformität 1933-1945 im Spiegelbild heutiger Schulnamen". Hinter dem etwas spröden Titel verbirgt sich eine akribische Recherche zu den rund 2200 sächsischen Schulen und ihren Namenspatronen. Darin enthüllt der Autor, dass gerade nach der Wende die Namensgebung von Schulen nicht immer gründlich überlegt erfolgte.

 

Ein Beispiel hierfür ist das Ferdinand-Sauerbruch-Gymnasium in Großröhrsdorf (Landkreis Bautzen). Die zuvor nach dem Kommunisten Fritz Weineck benannte Schule trägt seit dem Schuljahr 1992/93 den Namen des berühmten, fast schon legendären Chirurgen. Dass dieser sich nie vom Nationalsozialismus distanziert hat - seit 1937 war er beispielsweise Reichsforschungsrat -, sei der Schule und den Stadtoberen bis dato nicht bekannt gewesen, behaupten diese. Genauso wenig die Tatsache, dass Sauerbruch, als er 1942 zum Generalarzt des Heeres ernannt wurde, in dieser Funktion Gelder für Senfgasversuche an KZ-Häftlingen in Natzweiler bewilligte.

 

Die in Schule und Stadtparlament nach Erscheinen des Buchs einsetzende Debatte über Sauerbruch und seine Rolle im Dritten Reich ist noch nicht abgeschlossen, und sie ist genau das, was der Historiker bewirken wollte. Im Vorwort schreibt Gemser, das Namenslexikon sei beileibe keine Anklageschrift. Es gehe um die Frage, wer als Namenspatron einer Schule und damit als Vorbild für Kinder tauge. Anpassung und Mitläuferschaft im Dritten Reich würden bagatellisiert, indem man Menschen, die in Machenschaften der Nazis verstrickt waren oder sie geduldet hätten, als Namensgeber von Schulen ehre. "Problematische oder widersprüchliche Lebensläufe sollen zur Diskussion gestellt werden", fordert Gemser.

 

Der Historiker ist nach dem ganzen Wirbel, den sein Buch verursacht hat, inzwischen auf Tauchstation gegangen. Obwohl er einen Anstoß zum Nachdenken, zum Diskutieren geben wollte und für ein wenig mehr Vorsicht bei der Namensgebung plädiert, ist er inzwischen mannigfachen Anfeindungen ausgesetzt. In Internetforen und auf den Webseiten rechtsextremer Organisationen wird er sogar als Verräter beschimpft.

 

Offenbar hat der Historiker den Finger in eine offene Wunde gelegt. An vielen Schulen ist man unterdessen vorsichtiger geworden. So nahm das Gymnasium in Kreuztal im Siegerland kürzlich davon Abstand, sich nach dem Großindustriellen Friedrich Karl Flick zu benennen, der 1947 bei den Nürnberger Nachfolgeprozessen als Kriegsverbrecher verurteilt worden war.

 

In Rheinland-Pfalz trägt Recherchen zufolge keine Schule einen problematischen Namen. Die meisten der fast 1900 Bildungseinrichtungen sind nach der Kommune, einem Stadtteil oder einer geografischen Besonderheit benannt. Bei zwei "verdächtig" klingenden Namen - der Ernst-Born-Schule in Bad Ems und der Röhm-Schule in Kaiserslautern - liegt nur eine zufällige Namensgleichheit lokaler Größen mit Protagonisten des NS-Regimes vor.

 

Quelle:

DIE RHEINPFALZ

Ludwigshafener Rundschau

10. August 2009

Seite 3